Mehr Kommunikation und mehr Ethik

Ein vergangene Woche vorgestelltes Memorandum fordert Standards für gute Wissenschaft.

Plagiatsskandale, leere Versprechungen, Unübersichtlichkeit – Wissenschaft, die Hüterin der aufklärerischen Erleuchtung, hat auch ihre Schattenseiten. Vertrauen schwindet, Prozesse verkomplizieren sich, Abhängigkeiten mehren sich.

Was ist gute Wissenschaft? Diese Frage kommt zur richtigen Zeit. Beantwortet haben sie 22 junge Forschende verschiedener Disziplinen sowie Nachwuchsjournalist:innen. Über fünf Monate nahmen sie speziell die Lebenswissenschaften ins Visier, einen Bereich der Forschung, der seit Jahren besonders vielen „Revolutionen“ unterworfen und zahlreichen Interessen ausgeliefert ist. Gefördert vom BMBF, brachte die Tutzinger Akademie für Politische Bildung die jungen Querdenker:innen zusammen, um untereinander sowie mit geladenen Personen mit Expertise zu diskutieren und Empfehlungen für gute Wissenschaft zu formulieren. Nun stellten sie ihr Memorandum der Öffentlichkeit vor – und es lohnt sich, dieses eingehend zu studieren.

Gleich der erste Satz hat es in sich – mag er doch als Spitze gegen wissenschaftliche Eiferer vom Schlage eines Richard Dawkins verstanden werden: „Gute Wissenschaft lehnt dogmatisch geprägte Welt- oder Menschenbilder ab.“ Gut, dass die Nachwuchsforschenden das so klar formulieren. Auch Wissenschaft hat Grenzen, das ist ihnen bewusst. Weitere Punkte, die sie machen: Gute Wissenschaft basiert auf moralischer Verantwortung, Gründlichkeit, inter- und transdiszipliner Verständigung. Und sie stellt die Nachvollziehbarkeit ihrer Ergebnisse sicher.

Wer hier lediglich das Zusammentragen gängiger Phrasen vermutet, sollte das Memorandum weiter lesen. Die jungen Autor:innen prangern auch das „Publish or Perish“-Prinzip an. Ihre Forderung: Forschende müssen aus der Publikationsmühle befreit werden. So sollten neben der Anzahl der Veröffentlichungen und deren Impact-Faktoren u.a. auch gute Lehre, das Präsentieren auf Konferenzen, Gutachtertätigkeiten und Medienpräsenz auf das Konto einer akademischen Karriere einzahlen – bis hin zu „Anstoßen von öffentlichen Diskursen“. An anderer Stelle heißt es: „Wissenschaftler:innen sollten aktiv in Diskussion mit der Öffentlichkeit treten“ – eine häufig vorgebrachte Forderung, welcher etliche Forschende jedoch nach wie vor mit ungläubigem Erstaunen oder gar beinharter Skepsis begegnen. Ein beliebtes Argument: In einer arbeitsteiligen Welt seien dafür doch die Öffentlichkeitsarbeiter:innen des Wissenschaftsbetriebs abgestellt. Davon jedoch mag es in Deutschland einige Tausend geben, die Anzahl der Forschenden hingegen liegt etwa einen Faktor hundert darüber. Werden sie alle gut vertreten durch ihre Pressestellen? Unmöglich. Zudem ist es etwa für Kinder und Jugendliche spannender, bei einem Tag des offenen Labors an den Lippen der:des Forschenden als des Pressereferenten zu hängen – vorausgesetzt, der:die Wissenschafter:in kann sich ausdrücken! Auch bringt die Blogosphäre einem bloggenden Öffentlichkeitsarbeiter weniger Interesse entgegen als demjenigen, der die Forschung selbst macht. Die Beispiele ließen sich nahezu beliebig vermehren.

Forschenden steht heute ein nie gekanntes Tableau medialer Formate zur Verfügung, um in Dialoge mit der Öffentlichkeit zu treten. Dies reicht von digitalen Formaten wie Blogs, Youtube-Videos, Online-Vorlesungen und den einschlägigen Sozialen Netzwerken über den altehrwürdigen populärwissenschaftlichen Artikel oder Vortrag bis hin zur Langen Nacht der Wissenschaft, der Kinderuni und dem Science Slam.

Dennoch gibt es eine Reihe von Problemen in der schönen neuen Medienwelt der kommunizierenden Forschenden. Zwei besonders brennende sind erstens, dass die Forschenden vielerorts nur unzureichende Möglichkeiten an den Hochschulen vorfinden, sich praktisches Know-how im Umgang mit den verschiedenen Medien anzueignen und viele noch zu häufig unbeirrt über die Köpfe ihres jeweiligen Publikums hinweg schwadronieren. Zweitens verstehen sich sprechende und schreibende Wissenschaftler:innen noch allzu oft als Dozierende, die fachfremde Personen zu belehren hätten; dabei sollten sie sich besser als Dialogpartner:innen verstehen, Dialogpartner:innen mit Informationsvorsprung in einer bestimmten Nische des verzweigten Wissenslabyrinths freilich. Aber eben auch nur dort. Beide Punkte spricht das Memorandum erfrischend direkt an: Bei Wissenschaftskommunikation gehe es um Teilhabe und Dialog; zu vermeiden seien hingegen das Schüren falscher Hoffnungen und Scheindebatten.

„Gute Wissenschaft bezieht die Gesellschaft in den Prozess der Wissensproduktion ein und lässt sie teilhaben. Sie muss ihre Themen und Ergebnisse verständlich kommunizieren, auch gegenüber Nicht-Experten“, ist da zu lesen. Wie man an dieses Ziel gelangt? Forschungsinstitutionen müssen entsprechende Fortbildungen anbieten, so die Antwort des Memorandums.

Außer mehr und bessere Kommunikation rund um den Elfenbeinturm fordert das Memorandum auch mehr Ethik im Wissenschaftsbetrieb. Erneut lautet das Rezept: verpflichtende einschlägige Lehrveranstaltungen, gerade auch in den naturwissenschaftlichen Studiengängen. Der Nachwuchs soll befähigt werden, moralische Argumente ernst zu nehmen, abzuwägen und – ganz wichtig – selbst im Munde zu führen.

Auch wenn weder die Diagnose der Mängel des heutigen Wissenschaftsbetriebs noch die einzelnen Therapievorschläge wirklich neu sind – das Tutzinger Memorandum verdient es, über die Lebenswissenschaften hinaus wahrgenommen zu werden. Das Verdienst der Autor:innen besteht darin, die Dinge klar auf den Punkt gebracht zu haben.

Abspann

Das Memorandum entstand unter der Schirmherrschaft von Patrick Cramer, Professor für Biochemie an der LMU München und Direktor des dort ansässigen Department of Biochemistry sowie des Gene Center Munich. Als Beiräte flankierten u.a. die Wisssenschaftsjournalismus-Professor:innen Annette Leßmöllmann (Hochschule Darmstadt) und Holger Wormer (TU Dortmund) sowie die Wissenschaftsjournalisten Volker Stollorz und Christoph Koch die Diskussionen der 22-köpfigen Arbeitsgruppe.

Cross-Posting

Dieser Text wurde im Original von Carsten Könneker, dem Wissenschaftlichen Direktor des NaWik, in dessen Blog  ‚Gute Stube‚ auf dem Blogportal scilogs.de verfasst und veröffentlicht.